Was ist Philosophische Praxis?
Der Begriff der “Philosophischen Praxis” wurde 1981 im Zusammenhang mit der ersten Gründung einer solchen Einrichtung im deutschsprachigen Raum durch Dr. Gerd B. Achenbach geprägt.
Philosophische Praxis bietet einen Raum des Gesprächs und Nachdenkens über das eigene Selbst, die jeweilige Lebenssituation, über den Umgang mit anderen Menschen und das dazugehörige Umfeld. Sie ist bezogen auf die persönliche Lebensgestaltung und auf ein verantwortliches Agieren in Politik, Bildung, Wissenschaft, Ökonomie, Kunst, Kultur und Ökologie. Dabei schöpft sie aus der Vielfalt philosophischer Ansätze und Traditionslinien. Ihre Wirkungsformen liegen im Individualgespräch, in Diskussionsrunden (Philosophischer Salon, Philosophisches Café, Workshops etc.) sowie in Fort- und Weiterbildungen. Philosophische Praktiker*innen arbeiten in philosophischen Einzelpraxen, in sozialen, medizinischen und psychologischen Einrichtungen, in Bildungsinstitutionen, Unternehmen und im öffentlichen Raum.
Bedeutung
Die Philosophische Praxis kann wirksam werden, wenn Menschen in schwierige Lebenslagen geraten, wenn Konflikte oder drängende Fragen sie beeinträchtigen, oder aber auch, wenn Interesse an einem philosophischen Thema besteht und neue Perspektiven gewonnen werden wollen. Im Rahmen philosophischer Gespräche eröffnet sich die Möglichkeit, den Herausforderungen des Lebens zu begegnen, inneren Abstand zu sich selbst zu finden und sich mit anderen zu besprechen, ohne behandelt oder belehrt zu werden. Sich auf das Leben und Handeln zu verstehen, erfordert individuelle Klärung und Grundorientierung.
Abgrenzung
Ist das nicht ebenso die Sache der Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen? Der Seelsorger*in auch? Unweigerlich stellt sich – im Zeichen einer florierenden Therapiekultur – diese Frage nach der “Abgrenzung” Philosophischer Praxis von den Psychotherapien.
Der/die Philosoph*in nimmt ihr Gegenüber auf ganz besondere Weise wahr und ernst: Der Gast wird nicht theoriegeleitet – d. h. schematisch – eingeordnet, also nicht als “Fall einer Regel” verstanden, auch nicht vorschnell pathologisiert, sondern als der einzige, der er ist gesehen. Kein festgelegter “Maßstab” befindet über ihn (auch nicht der einer vermeintlichen Gesundheit und Normalität), sondern die Frage ist, ob er sich selbst angemessen lebt – mit Nietzsches berühmt gewordenem Wort: ob er wurde, der er ist. Zu ergänzen ist, dass sich die Philosophische Praxis keineswegs nur als individuelle Beratung bewährt, sondern ebenso Unternehmen, Organisationen und Verbände in ihren Versuchen darin unterstützt, ihren Auftrag, solide Grundsätze und orientierende Leitlinien zu finden.
Literatur zur Philosophischen Praxis
Für wen?
Die Philosophische Praxis richtet sich an Menschen, deren Fragen nicht vollständig geklärt sind, die Interesse an der Öffnung ihres Denkens und Erforschung ihrer Überzeugungen haben. Sie richtet sich aber auch an jene, die sich selbst in einem größeren weltlichen und gesellschaftlichen Zusammenhang reflektieren möchten.
Was?
Krankheit, berufliche Krisen, Gewissenskonflikte, das Empfinden von Sinnverlust, Gefühle der Fremdheit im eigenen Leben oder einfach Neugierde bilden Situationen, in denen Menschen eine Philosophische Praxis aufsuchen. Gerade dann wächst oftmals das Bedürfnis, über die eigene Lebensweise tiefer gehend nachzudenken und – vielleicht ohne sich dessen bewusst zu sein – der Maxime des Sokrates zu folgen, dass nur ein geprüftes Leben auf Dauer lebenswert sein kann. Gerade die Anstrengungen des Nachdenkens können das Leben ungemein bereichern. So kann der lebendige Austausch mit einem philosophisch geübten Gegenüber dem Dasein in neuer Weise Sinn und Bewegung verleihen oder manchmal einfach nur den Trost bieten, gehört und gesehen zu werden.
Wie?
Dabei wird philosophisches Wissen nicht einfach „angewandt“, etwa indem die Lebensprobleme des Gastes mit Platon oder Hegel behandelt und versiert gelöst würden. Vor allem geht es nicht um die Vermittlung allgemeiner Lebensweisheiten. Letztlich kommt es viel mehr darauf an, wie der/die aufmerksam zuhörende Praktiker*in den Reichtum des philosophischen Erbes auf je einmalige Weise im Austausch mit seinem Gast lebendig werden lässt und weiterentwickelt. Dies ist nur möglich, wenn der/die Praktiker*in selbst von der stärkenden und verwandelnden Kraft des Philosophierens existenziell getragen ist. Allein auf diesem Wege vermag er/sie ein Sensorium für das oftmals Übersehene und Verborgene jenseits der eingefahrenen Denkgewohnheiten zu entwickeln.